18.09.2013 Prävention

Schlaganfall vorbeugen

Durchblutungsstörungen des Gehirns führen häufig zu Behinderungen oder Tod. Es gibt aber wirksame Maßnahmen, die das Risiko verringern
Durchblutungsstörungen des Gehirns führen häufig zu Behinderungen oder Tod. Es gibt aber wirksame Maßnahmen, die das Risiko verringern Bildnachweis: Thinkstock/istockphoto

Mit einer derart ernsten Diagnose hatte Ingrid S. nicht gerechnet. Sie hatte sich nicht gut gefühlt auf der Familienfeier. Der Kopf schmerzte, und sie sah zur rechten Seite nicht mehr richtig. Dass sie sich in Lebensgefahr befinden könnte, kam ihr allerdings nicht in den Sinn. Doch als sie die Symptome ihrer Schwester schilderte, die als Krankenschwester arbeitet, riet diese, den Notarzt zu rufen. Noch in der Nacht brachte ein Rettungswagen Ingrid S. in das Krankenhaus im österreichischen Tamsweg. Dort stellten die Ärzte eine Durchblutungsstörung in ihrem Gehirn fest. Die Diagnose lautete: Schlaganfall. Diese Erkrankung trifft in Deutschland etwa 250.000 Menschen im Jahr, oft mit fatalen Auswirkungen: Rund 60.000 Menschen sterben an den Folgen, und von den Überlebenden ist knapp jeder Dritte dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen. Obwohl mit der Lyse-Therapie eine Gegenmaßnahme bei Gefäßverschlüssen im Gehirn zur Verfügung steht, gelang bisher kein Durchbruch in der Schlaganfall-Medizin. Denn anders als bei einem Herzinfarkt treten bei einem Hirninfarkt meist keine Schmerzen auf, und Betroffene suchen oft erst spät ärztliche Hilfe – wenn der Schaden kaum noch abzuwenden ist. Beeinflussbare Risiken Vor diesem Hintergrund kommt der Prävention von Schlaganfällen eine besondere Bedeutung zu. Denn weit besser beeinflussbar als die Folgen der Minderdurchblutung im Kopf sind die Risikofaktoren, die einen Schlaganfall begünstigen: zum Beispiel Bluthochdruck, krankhaftes Übergewicht oder das Rauchen. 2008 ermittelten Wissenschaftler der Harvard-Universität in Boston (USA), dass ein Lebensstil ohne Nikotin, mit wenig Alkohol, täglicher Bewegung, ausgewogener Ernährung und Gewichtsnormalisierung das Schlaganfallrisiko um bis zu 80 Prozent senkt. Neuere Untersuchungen machen vor allem die schützende Wirkung körperlicher Aktivität deutlich. Eine Untersuchung in Taiwan zeigte vergangenes Jahr, dass schon gut 90 Minuten Bewegung in der Woche die Lebenserwartung im Schnitt um drei Jahre erhöhen. Wer dreimal pro Woche ein bis zwei Stunden joggt, gewinnt sogar rund sechs Lebensjahre, wie die Copenhagen-City-Herzstudie zeigte. (Tipp: Wer älter als 35 Jahre ist oder chronische Krankheiten hat und neu mit dem Sport beginnt, spricht das passende Pensum sicherheitshalber vorher mit dem Arzt ab). Die positiven Wirkungen von Sport auf das Gefäßsystem sind im Detail zwar noch nicht ganz verstanden. Klar ist aber, dass moderater Ausdauersport den Blutdruck senkt – um etwa fünf Skalenwerte – und somit eine wesentliche Gefahrenquelle zumindest etwas eindämmt. Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle. Spanische Ärzte veröffentlichten dieses Jahr Daten in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine, die belegen, dass eine mediterrane Diät, die reich an Olivenöl und Nüssen ist, vor Herz- und Hirninfarkten schützt: Die Mittelmeerkost senkte das Risiko um 30 Prozent. Keine entsprechende Wirkung haben dagegen Nahrungsergänzungsmittel, wie andere Studien belegen. Bestimmten Vitamin- oder Kalziumgaben wurden sogar negative Effekte bescheinigt. Auch rotes Fleisch sollte nur in Maßen genossen werden: Das Schlaganfallrisiko steigt mit der verzehrten Menge. Rückfälle verhindern Das hohe vorbeugende Potenzial eines gesunden Lebensstils untersuchen viele Mediziner derzeit genauer, um es systematisch für ihre Patienten zu nutzen. Mediziner am Klinikum rechts der Isar (München) verfolgen, wie sich das Rückfallrisiko nach einem Schlaganfall durch die Lebensweise senken lässt. Sogenannte Sekundärprophylaxe stellt eine wichtige Maßnahme nach einem Infarkt dar, denn leider gilt: Nach dem Schlag ist vor dem Schlag, wenn Risikofaktoren weiter bestehen. Ingrid S. nimmt an der Untersuchung teil. Schon wenige Tage nach dem Vorfall in ihrer österreichischen Heimat ließ sie sich nach München verlegen, wo sie seit mehr als 40 Jahren lebt. Die Mediziner stellten Bluthochdruck und Gefäßverkalkung als Ursachen des Hirninfarkts fest. Diesen sollen jetzt Medikamente entgegenwirken. Doch neben Blutdruck- und Cholesterinsenkern sowie Acetylsalicylsäure (ASS) gehört für die 60-Jährige nun auch eine Viertelstunde auf dem Heimtrainer zum Tagesprogramm. Außerdem radelt sie jeden Tag eine Stunde. Absetzen musste sie ihre Hormontabletten. Studien zeigten vor gut zehn Jahren, dass die Einnahme von Hormonpräparaten gegen Wechseljahresbeschwerden das Risiko für Brustkrebs und akute Gefäßverschlüsse – auch im Gehirn – erhöht. Unter den neuen Lebensbedingungen kontrollieren die Ärzte im Münchner Klinikum jetzt regelmäßig die Werte von Ingrid S.. Zurückgeblieben von dem Infarkt ist nur ein kleiner Gesichtsfelddefekt zur rechten Seite. Glück im Unglück hatte auch Hannelore H. aus München. Der 77-Jährigen verschlug es morgens beim Frühstück plötzlich die Sprache. Sie wollte ihrem Mann antworten und brachte einfach kein Wort mehr heraus. Schon beim Eintreffen in der Klinik legte sich die unheimliche Symptomatik von selbst, was aber für die Ärzte keinen Grund zur Entwarnung bedeutete. Gefährliche Rhythmusstörung Experten wissen: So einer vorübergehenden Durchblutungsstörung folgt häufig ein schwerer Hirninfarkt. Man muss unbedingt die Ursache feststellen, um gegensteuern zu können. Die Patientin kannte den wahrscheinlichen Grund allerdings schon länger: Ein Arzt hatte früher schon einmal eine „absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern“ bei ihr festgestellt. Diese Herzrhythmusstörung kann zur Bildung von Blutgerinnseln führen, die in den Kopf gespült werden und dort ein Hirngefäß verstopfen. Vorbeugen lässt sich durch Medikamente, die das Gerinnungssystem hemmen. Weil diese schützende „Antikoagulation“ aber auch zu Blutungen führen kann, zögerten früher viele Ärzte, ältere, insbesondere sturzgefährdete oder geistig eingeschränkte Patienten auf gerinnungshemmende Tabletten einzustellen. Doch auch wenn Sturzgefahr besteht, schließt das die Anwendung der Medikamente nicht mehr aus. Obwohl Hannelore H. in guter Verfassung ist, hatte man bei ihr die Gefahren der Antikoagulation als zu hoch eingestuft. Nun erhält sie Phenprocoumon. Viele Experten begrüßen den Einsatz neuer Antikoagulanzien, die seit kurzer Zeit zugelassen sind. Sie finden, dass die Mittel effektiver und sicherer sind, als das alte Phenprocoumon. Sie sind aber auch teurer und unter Umständen schwerer zu kontrollieren, wenden manche Fachleute ein. Vorbeugung mit Pillen Auch ohne vorherige Durchblutungsstörung ist bei Vorhofflimmern der vorbeugende Einsatz gerinnungshemmender Medikamente oft sinnvoll. Ein Schutz-Effekt vor der Erkrankung wird auch Cholesterinsenkern immer wieder bescheinigt. Sie kommen allerdings in erster Linie zur Verringerung des Herzinfarktrisikos und nicht zum Schutz vor Schlaganfällen zum Einsatz. Man sollte erst einmal versuchen, die Blutfette über den Speiseplan zu senken. Wie neuere Daten zeigten, lasse sich hier auch ohne Medikamente viel erreichen.