10.07.2013 Kneippkur

Mehr als nur Wasser

Das auf fünf Säulen ruhende ganzheitliche Naturheilverfahren aktiviert die Selbstheilungskräfte und bringt Körper, Geist und Seele in Einklang
Das auf fünf Säulen ruhende ganzheitliche Naturheilverfahren aktiviert die Selbstheilungskräfte und bringt Körper, Geist und Seele in Einklang Bildnachweis: W&B/Bernhard Huber/RYF

Sebastian Kneipp (1821 bis 1897) verordnete Schreibtischbeamten Holzhacken und Feldarbeit, heute schicken seine Nachfolger gestresste Manager zum Schwimmen, Walken oder Radfahren. Bewegungsmangel und Fehlernährung waren schon vor hundertfünfzig Jahren ein Thema. Aber heute ist Kneipps Lehre aktueller denn je. Für die damalige Zeit war das ganzheitliche Therapiekonzept des Allgäuer Pfarrers geradezu revolutionär: Mit seinen fünf Säulen – Wasseranwendungen, Bewegung, ausgewogene Ernährung, Heilpflanzen und Ordnungstherapie – will es die körpereigenen Regulationsmechanismen stärken sowie Körper, Geist und Seele in Einklang bringen. Leider werde das komplexe Naturheilverfahren oft auf Wassertreten und kalte Güsse reduziert, sagen Experten. Für Viele sind nicht die populären Wasseranwendungen die tragende Säule von Kneipps Lehre, es ist die Ordnungstherapie. Sie wird oft mit Entspannungsverfahren wie autogenem Training oder Qigong verwechselt. Ihr eigentliches Ziel besteht jedoch darin, das Leben so zu gestalten, dass es mit der menschlichen Natur in Einklang steht. Das Leben wieder in Ordnung bringen Ist das Leben durch berufliche und familiäre Über­lastung, einseitige Ernährung, Bewegungsmangel oder übermäßigen Alkohol- und Tabakkonsum in „Unordnung“ geraten, begünstigt das Krankheiten. Um das Leben der Patienten wieder in Ordnung zu bringen, arbeiten Kneippärzte eng mit Psychologen zusammen. In intensiven Gesprächen klären sie über schädliche Verhaltensmuster auf und helfen, einen gesünderen Lebensstil zu entwickeln. 70 Prozent aller Erkrankungen ließen sich durch regelmäßige Bewegung und ausgewogene Ernährung vermeiden, sagen Naturheilkundige. Kneippkuren beugen aber nicht nur vor, sondern verhindern auch, dass sich bestehende Krankheiten verschlimmern. Die besten Erfolge lassen sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, orthopädischen Problemen und psychovegetativen Beschwerden wie Schlaf- und Verdauungsstörungen erzielen, sagen Experten. Aktivität und Erholung im Wechsel Nach einer ausführlichen Eingangs­untersuchung erstellen Kneippärzte einen individuellen Kurplan, der auf die jeweiligen Probleme und Beschwerden abgestimmt ist und auch den Biorhythmus berücksichtigt: Der Patient bekommt einen genauen Zeitplan, der sich nicht am Terminkalender des Masseurs, sondern an der biologischen Uhr orientiert. Aktive Einheiten mit Gymnastik, strammen Spaziergängen und Wasseranwendungen wechseln mit Entspannungsübungen, Massagen, Kräuterbädern und Heuauflagen ab. Denn die Patienten dürfen sich nicht überfordern. Auf dem Speiseplan steht vollwertige, weitgehend naturbelassene Kost. Bei Übergewicht und Stoffwechselstörungen wie Diabetes, Gicht oder erhöhten Blutfettwerten erstellen Ernährungsberater einen Diätplan und helfen den Patienten, die Ernährung dauerhaft umzustellen. Um nachhaltige Effekte zu erzielen, sollte eine Kneippkur mindestens drei Wochen dauern. Wenn die therapeutischen Maßnahmen am Wohnort ausgeschöpft sind oder Abstand zum Alltag notwendig ist, übernehmen die Krankenkassen oft die Kosten. Viele Menschen gönnen sich hin und wieder selbst eine Auszeit in einem der rund 60 deutschen Kneippkurorte. Der Ort sollte alle Anwendungen sowie ausgebildete Kneippärzte und -therapeuten vorweisen können.